„Kunst und Kultur auf dem Land“

Die Zeitung "Politik und Kultur"  widmet sich im Mai 2025 dem Thema „Kunst und Kultur auf dem Land“. Birgit Maria Sturm stellt darin zwei Galeristen, die im ländlichen Raum leben und arbeiten: Emmanuel von Walderdorff und Dr. Markus Döbele.

Hier der Artikel als Pdf:  Birgit Maria Sturm, Galerien auf dem Land, in: Politik und Kultur, 05/25

Gute Kunst – nicht nur für Fuchs und Hase
Galerien auf dem Land sind Ausnahmeerscheinungen

„Leute, die zu diesem Ort kommen, bringen Zeit mit – das ist für mich das zentrale Moment“. Das sagt Emmanuel von Walderdorff, der 2015 ein ehemals landwirtschaftlich betriebenes, von einer Parkanlage umgebenes Hofgut zwischen Köln und Frankfurt zu einer Galerie transformiert hat. Zuvor arbeitete der Galerist vierzehn Jahre im Rheinland, einem Hotspot der deutschen Kunstszene.

In seiner Kölner Zeit überwog die Idee einer coolen Galerie nach dem Vorbild renommierter Kollegen. Irgendwann stellte sich die Frage, warum er es machen sollte wie alle anderen? White Cube, volle Vernissagen und Flaute danach, viel Hektik und keine Muße, sich wirklich mit den Künstlern zu beschäftigen? Er gestaltete eine Traktorwerkstatt und eine Backsteinscheune zu Showrooms um, mit allem, was an Ausstellungs- und Lichttechnik dazu gehört. Massives, tragendes Holzgebälk und bleigefasste Fenster – alles wurde sorgsam restauriert.

Das Dorf Molsberg im Westerwald – Walderdorffs Familie ist dort seit langer Zeit ansässig – ist nicht nur von Wald und Wiesen, sondern auch von einer kulturwirtschaftlichen Besonderheit geprägt: Hier lagerten die größten Tonvorkommen Europas. Keine Ortschaft im sog. Kannenbäckerland, wo seit dem 16. Jahrhundert nicht mindestens eine Töpferei robustes Steinzeug herstellte und weit über die Region hinaus verkaufte. Ein Keramikmuseum pflegt die Erinnerung an die einstige, ländliche Industrie und präsentiert auch zeitgenössische, freie Keramik. In Höhr-Grenzhausen, keine 20 Minuten von Walderdorffs Galeriehof entfernt, lockt diese Sammlung Besucher ebenso an wie (kunst-)historisch bedeutende, vom zweiten Weltkrieg verschont gebliebene Orte, Bad Ems oder Limburg mit seinem berühmten Dom.

Ein Kulturunternehmer auf dem flachen Land steht vor der Herausforderung, sein Publikum an sich zu binden. Emmanuel von Walderdorff hatte schon in seiner Kölner Zeit ein Netzwerk aus Künstlern, Kuratoren und Sammlern aufgebaut. Würde sie wegen zwei, drei Ausstellungen im Jahr regelmäßig anreisen? An einen schönen, aber abgelegenen und nur mit dem Auto erreichbaren Ort?

Walderdorffs Arbeit an der Peripherie hat eine ganz eigene Dynamik entwickelt und steht einer städtischen Galerie in nichts nach. Er sieht seine Mission nicht nur in der Vermittlung von bildender Kunst im ländlichen Raum, er will Menschen auch zusammenbringen. Deshalb gehört zu seinen Ausstellungen oftmals ein Begleitprogramm – und großzügige Bewirtung, versteht sich. Geboten werden Konzerte mit zeitgenössischer Musik, Workshops für Kinder, Vorträge, Führungen über Streuobstwiesen und Wildtierbeobachtungen auf dem Hochsitz.

Das alles bringt Walderdorffs persönliche Verwurzelung in der Region zum Ausdruck. Mit seinen Kunstprojekten will er aktiv das Bewusstsein über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur vor Ort schärfen. Dafür konzipierte er eine ganze Serie an Ausstellungen zur Biodiversität und lädt gezielt Künstler ein, für die Natur nicht bloß ein Motiv, sondern ein wirkliches Anliegen ist. Etwa für den Bildhauer Frank Herzog, der im Rahmen eines vom rheinland-pfälzischen Umweltministerium geförderten Projekts gegen den Verfall uralter Obstbäume anarbeitet – was in seiner Ausstellung „Restholzveredelung“ künstlerische Gestalt annahm. Der Galerist überlässt seine Scheune auch mal einem Techno-DJ. Der Ökologe Dominik Eulberg transformiert Vogelstimmen in elektronische Musik und begeistert mit seinen Konzerten vor allem junge Besucher, die er anschließend zu einer nächtlichen Fledermausführung einlädt.

Walderdorff arbeitet auch mit externen Partnern. Einmal im Jahr organisiert er in einem stillgelegten Sägewerk bei Altmünster am Traunsee eine Ausstellung im Rahmen der Salzkammergut Festwochen Gmunden. Und ja, es zieht ihn immer wieder einmal in die Stadt. Für Pop-up-Ausstellungen in Wien, Hamburg oder München greift er auf sein Netzwerk zurück und befördert auch auf diesem Wege Interesse an seiner Molsberger Kunst- und Naturwelt: „Jetzt ist es genau so, wie es zu mir passt.“

Galerien sind urbane Gewächse. In der Stadt zentriert sich das kulturelle Leben, hier gibt es Museen, Kunstvereine und Akademien, hier leben die jungen Künstler. Emmanuel von Walderdorff gehört wie das folgende Beispiel zu den extrem wenigen Ausnahmen, die aus dem ländlichen Raum heraus agieren. Beiden gemeinsam ist: Es gab ein städtisches Vorleben, ohne das die heutige Form nicht denkbar wäre. Eine junge Galerie, die im Dorf anfängt und dort auch bleibt, ist uns nicht bekannt (wenn doch, bitte melden!).

Auch bei Markus Döbele begann alles in der Stadt. Von dort nahm der Sohn einer Kunsthändlerfamilie vor allem die Erfahrung mit, dass Erreichbarkeit das A und O ist. Kurz vor der Jahrtausendwende erwarb er mit seiner Frau einen Bauernhof aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in Effeldorf nahe Würzburg und gründete dort eine Galerie. Der Ort liegt unweit des Biebelrieder Kreuzes, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt in Deutschland. So ist seine Galerie für Besucher gut zu erreichen; umgekehrt schweift er von hier in alle Landesteile aus, um den Kontakt zu Künstlern und Sammlern zu pflegen.

Seine Eltern, Hedwig und Johannes Döbele, begehen in diesem Jahr ihr 50jähriges Galeriejubiläum. Als Händler der klassischen Moderne gehörten sie zu den Pionieren der Vermittlung ostdeutscher Künstler. Seit Anfang der 80er-Jahre – lange vor dem Fall der Mauer – reiste Hedwig Döbele regelmäßig in den Osten, um Künstler:innen zu treffen und deren Arbeiten im Westen auszustellen. Ihr riesiges Archiv, ein Fundus der deutsch-deutschen Kulturbeziehungen, wurde von der Sächsischen Landesbibliothek vor ein paar Jahren als Vorlass dankbar angenommen.

Sohn Markus ist also mit Kunst und Künstlern aufgewachsen, studierte Kunstgeschichte und stieg 1995 in die Stuttgarter Galerie seiner Eltern ein. Keine drei Jahre später macht er sich selbständig, denn er wollte mit Künstlern seiner eigenen Generation arbeiten. Wohlweislich behielt er einige Klassiker im Programm – vor allem Max Ackermann, den großen Star der absoluten Malerei in der Kunst der Nachkriegszeit. Dieser Künstler war auch Dreh- und Angelpunkt der Dissertation von Markus Döbele.

Anders als sein Kollege Walderdorff musste sich Döbele als Zugezogener die Akzeptanz im Dorf erst einmal erarbeiten. Als sich herumsprach, dass in dem einige Jahrzehnte als Gärtnerei betriebenen Hof bald zeitgenössische Kunst präsentiert werden sollte, war die Skepsis zunächst groß. Doch als sich der Kunsthistoriker in blauer Montur für alle sichtbar auf dem Gelände zu schaffen machte, umgrub und aushob, alte Rosenstöcke reanimierte und mit der Zeit ein Paradies mit 100 Rosensorten entstand, waren die 400 Effeldorfer schwer beeindruckt. Stolz erwähnt die Gemeindebroschüre, dass ihr „kleiner Ort auf der Landkarte des bundesweiten Kunstmarktes mit gesprächsfreudigen Galeristen punktet, die das kulturelle Leben der Region bereichern“.

Und so erscheinen nicht nur Sammler, sondern auch die Dorfbewohner zum offenen Galeriensonntag und erst recht zum großen jährlichen Sommerfest. Das fränkische Weinland bietet allerhand Köstlichkeiten und das Ehepaar Döbele versteht sich auch als Gastgeber seiner Community inmitten des fantastischen Skulpturenparks, zu dem sich ihr Rosengarten unterdessen ausgeweitet hat. Darin stehen die famosen Objekte aus verknäueltem Baustahl von Angelika Summa, Eisenskulpturen von Clemens Hutter oder die Archetypen von Bernhard Müller-Feyen.

„Es ist immer ein langer Prozess, bis sich ein Kunstwerk verkauft“, sagt Markus Döbele. Er hat zwar allerhand Kontakte zu regionalen Institutionen, aber Museen sind wegen der geringen Ankaufsetats als Kunden schon lange entfallen. Die meisten Umsätze erzielt er mit privaten Kunstsammlern und Unternehmen im wohlhabenden Baden-Württemberg. Eine noch größere Rolle als die Teilnahme an Kunstmessen spielt für den technikaffinen Galeristen die Präsenz auf Social Media und der Verkauf über Kunstmarkt-Plattformen.

2005 eröffnete Markus Döbele eine Dependance in der legendären Berliner Auguststraße, gab das Projekt nach sieben Jahren Investition und Pendelei aber wieder auf. Warum einer unter vielen sein, wenn man einen großen Radius konkurrenzlos in der Provinz erfolgreich bespielen kann? Hin und wieder lockt die Stadt: Frankfurt, Berlin, Venedig – aber nicht nur wegen der Kunst, sondern wegen der Marathonläufe, an denen der mobile Galerist und Sportsfreund regelmäßig teilnimmt.

Fazit: Zur privatwirtschaftlichen Kulturarbeit auf dem Dorf gehören erhebliche Investitionen in den Substanzerhalt von Gebäuden, Verbundenheit mit Land und Leuten, Gemeinsinn und Gestaltungswille, Mobilität und überregionale Aktivitäten, eine kulturelle Vorprägung der Region und eine gute Infrastruktur. „Museen, Kinos, Bibliotheken oder Galerien gehören auch in den ländlichen Raum.“ Dieser Satz steht im Vertragsentwurf der künftigen Regierungskoalition – aber leider kein Wort darüber, wie der Bund derlei befördern wird.

Birgit Maria Sturm
Der Beitrag ist erschienen in: Politik und Kultur, Mai 2025, Seite 19 / Hrsg. Deutscher Kulturrat

 

 

 

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